Zurück in die Natur beim Waldbaden

Hofheim im Taunus – Waldbademeisterin Annette Bernjus deutet auf einen Stromkasten neben einem Waldweg in Hofheim im Taunus. «Das hier ist quasi mein letzter Zivilisationspunkt», sagt die 58-Jährige.

Danach geht es im Schlenderschritt um Natur- und Selbstwahrnehmung, um Entspannung und Stille. Sie bietet ihren Kursteilnehmern beispielsweise an, sich an einen kleinen Bach zu stellen und zu spüren, was sich angenehmer anfühlt – wenn das Wasser auf den Körper zufließt oder davon weg. Oder einfach bei geschlossenen Augen auf den Atem zu achten.

Keinen Mobilfunkempfang

Was sie den Teilnehmern ihrer mindestens zweistündigen Kurse lieber nicht direkt sagt: Ab dem Stromkasten gibt es auch keinen Mobilfunkempfang mehr. «Irgendwann vergessen die Menschen ihr Smartphone von ganz alleine, das ist viel schöner als wenn ich es direkt verbiete.» Ein Funkloch löse bei vielen inzwischen enormen Stress aus. Manager, Lehrer, Handwerker oder junge Mütter – die Bandbreite der Interessierten ziehe sich durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten. Was alle vereine seien die Schwierigkeiten, in einem oft schnellen Leben voll Reizüberflutung zur Ruhe zu finden.

Der Wald kann dafür aus Expertensicht eine wertvolle Unterstützung bieten. Unter dem Namen «Shinrin Yoku» wird das Eintauchen in die Natur bereits seit Jahrzehnten in seinem Ursprungsland Japan praktiziert und erforscht. Der Aufenthalt im Grün soll enorm viele positive Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele haben wie eine positivere Stimmung oder eine gesteigerte Immunabwehr. In Hessen organisieren inzwischen zahlreiche Anbieter solche Touren, die ehemalige Bankerin Bernjus kann als eine der Pioniere die Nachfragen nach Kursen, Ausbildungen und Beratungen nach eigenen Angaben kaum bedienen. Unter anderem die Krankenkasse AOK bietet Waldbaden in Hessen an.

Konflikt zu anderen Waldnutzern gibt es bisher kaum. «Grundsätzlich sehen wir das positiv, wenn Interesse am Wald besteht», sagt der Pressesprecher des Landesjagdverbandes Hessen, Markus Stifter. Die achtsamen Naturbesucher seien gern gesehen, so lange sie tagsüber kämen und die Tiere nachts ihre Ruhe hätten. Auch der Jagdverband beobachte ein steigendes Interesse am Thema Wald und der Naturwahrnehmung. «Es ist einer der letzten Rückzugsorte, die es noch gibt.»

Erdung, Kraft und Ruhe

Der moderne Mensch finde im Dickicht Erdung, Kraft und Ruhe und erkenne, dass er Teil des natürlichen Kreislaufs sei, so der Jäger. «Es gibt immer mehr Naturentfremdung, da können solche Seminare helfen, wieder zurückzufinden.» Viele Menschen seien inzwischen so weit entfernt, dass sie es nicht mehr aus eigener Kraft schaffen könnten, sondern solche organisierten Angebote als Hilfestellung bräuchten. Was Waldbademeisterin Bernjus bestätigt: Viele Menschen in ihren Kursen mache der Wald Angst oder sie müssten sich überwinden, etwas Erde in die Hand zu nehmen. «20 Minuten ruhig ohne Aufgabe oder Ablenkung zu schlendern überfordert heute viele.»

Vor zu viel Heilsversprechen des Tannengrüns warnt allerdings die Psychotherapeutenkammer Hessen, die den Trend und die Forschung mit Interesse beobachtet. Grundsätzlich sei es positiv, wenn Menschen den Aufenthalt in Wäldern als Hilfe empfänden und vielleicht auch zur Prävention nutzten. «Für die meisten Erkrankungen oder Störungen, mit denen Patienten zu Psychotherapeuten kommen, kann «Waldbaden» bisher jedoch keine wirksame Therapie sein», sagt Kammerpräsidentin Heike Winter. Bei einigen Diagnosen könnten Waldspaziergänge eine sinnvolle Ergänzung zur Therapie sein, «das funktioniert dann aber auch ohne Begleitung durch Waldbademeister.»

Kritisch sieht Winter auch den kommerziellen Aspekt: Waldbademeister sei ein neues Geschäftsmodell, der durch die Medien verstärkte Trend eröffne Einnahmequellen. Darüber freuten sich auch Tourismusregionen, die ihren Wald dann besser vermarkten könnten. «Diese Erholungsmöglichkeiten in der Natur, im Wald mit seinem Grün, dem Duft ätherischer Öle und der Ruhe, werden schon seit Jahrhunderten genutzt», sagt die Therapeutin.

Nach Angaben von Hessen Forst brauchen Waldbademeister wie alle gewerblichen Nutzer des Waldes einen Gestattungsvertrag des Eigentümers wie der Gemeinde oder dem Land Hessen. Was die Nutzung dann letztendlich koste, hänge vom Einzelfall ab, sagt Sprecher André Schulenberg. Anders als mit beispielsweise Mountainbikern gebe es bisher keinen Streit: «Die friedlichen, stillen Erholer sind uns herzlich willkommen.» Da Hessen Forst auch waldpädagogische Angebote habe, könne es durchaus sein, dass man in Zukunft auch Waldbaden anbiete. Momentan sei dafür aber keine Zeit, denn alle Mitarbeiter kämpften mit allen Kräften wegen der Hitzeschäden gegen das Sterben der Bäume: «Wir müssen uns erst mal darum kümmern, dass der Wald als Erholungskulisse überhaupt erhalten bleibt.»

Fotocredits: Silas Stein,Silas Stein,Silas Stein,Silas Stein,Silas Stein
(dpa)

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