Hohegeiß – «Hier saßen die Halterungen für die Selbstschussapparate», sagt Manfred Gille und deutet auf die Löcher im hohen Metallgitterzaun. Das dreieinhalb Meter hohe Sperrwerk steht mitten im Oberharz, im Wald zwischen Hohegeiß (Niedersachsen) und Sorge (Sachsen-Anhalt).
Dort sind der Metallgitterzaun und andere Teile der Grenzbefestigung erhalten geblieben. Sie sollten ursprünglich Menschen von der Flucht aus der DDR in den Westen abhalten. Heute sind sie Teile eines Freilicht-Museums.
Selbstschussanlage mitten im Harz
«Man kann sehen, dass die Schussapparate in drei Reihen angebracht waren», erläutert der frühere Zollbeamte: In Knie-, Brust- und Überkopfhöhe. «Sobald der Zaun berührt wurde, lösten die Apparate aus.» Gille, der im nahen Hohegeiß wohnt, kennt die Grenze aus langer beruflicher Erfahrung. Bis 1989 ist der pensionierte Zollbeamte regelmäßig Streife auf der westlichen Seite gelaufen.
Besonders belastend sei es gewesen, wenn im Grenzgebiet Minen detonierten, erinnert sich Gille. «Wenn man im Nachtdienst unterwegs war, herrschte meistens absolute Stille. Wenn dann plötzlich eine Mine detonierte, war das wie ein Schock.» Meistens sei nur Wild auf die im Erdreich verborgenen Sprengsätze getreten. Die Grenze sei aber auch im Oberharz für Menschen ein Todesstreifen gewesen. An dem 13 Kilometer langen Abschnitt Sorge/Elend seien sieben Menschen durch Minen und Schusswaffen ums Leben gekommen. «Im gesamten Harz waren es 20.»
Die Jugend weiß nur noch wenig von der Grenzrealität
An die letzten Schüsse in seinem Grenzabschnitt kann der 75-Jährige sich noch gut erinnern. «Es war im Juli 1989.» Durch ein Fernglas habe er damals beobachtet, wie DDR-Soldaten Warnschüsse abfeuerten, um die geplante Flucht von drei jungen Männern zu stoppen. Das Trio wurde festgenommen und abtransportiert. Was aus den Fluchtwilligen wurde, weiß Gille nicht.
Der ehemalige Zollbeamte ist in Fragen zur Grenze wie ein wandelndes Lexikon. Ob zu Signalzaun, Minenfeld, Stacheldraht, Hunde-Laufanlage oder Erdbunker: Gille lässt keine Frage unbeantwortet, die den Besuchern einfällt. «Es motiviert mich, als Zeitzeuge zu berichten», sagt Gille. «Ich versuche dabei aber auch, die geschichtlichen Hintergründe zu erläutern.» Vor allem jüngere Menschen, so habe er festgestellt, wüssten vielfach nur wenig davon, «wie es hier mal war.»
Touristenzuwachs und Instandhaltung
Wie vielen Menschen er in den vergangenen 25 Jahren den ehemaligen Todesstreifen gezeigt habe, könne er nur schätzen, sagt Gille. «Es waren viele Tausend. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr.»
«Das liegt auch daran, dass hier alles noch im Original zu sehen ist», sagt Inge Winkel. «Das fasziniert die Leute», hat die Vorsitzende des Vereins
«Grenzmuseum Sorge» festgestellt. Der Verein, der mit Gille eng zusammenarbeitet, betreibt in Sorge ein kleines Museum und kümmert sich um die Anlagen an der früheren innerdeutschen Grenze. Dazu gehört auch ein gut erhaltener Abschnitt des Kolonnenweges, den die DDR-Grenztruppen mit ihren Fahrzeugen nutzten.
Von der Natur überwuchert
Bei einem Spaziergang über die Betonplatten mit den charakteristischen Löchern zeigt Gille auch, wie die Natur sich beidseits der Grenze in den vergangenen Jahren erholt hat. «Und dass, obwohl hier früher ständig Unkrautvernichter eingesetzt wurde.»
Auf Wunsch führt der ehemalige Zollbeamte die Besucher auch zu einer früheren Kaserne der DDR-Grenztruppen, die etwas versteckt und von einem hohen Zaun umgeben mitten im Wald liegt. «130 Mann waren hier untergebracht», berichtet der 75-Jährige. Heute sind bei einem Blick durch den Zaun nur noch einige vor sich hin rostende Armeefahrzeuge zu sehen.
Zu den erhaltenen Grenzanlagen im Oberharz gehört auch ein Wachturm der DDR-Grenztruppen. Derzeit ist das Bauwerk allerdings komplett verhüllt. «Der Turm wird für mehr als 40.000 Euro restauriert», sagt Inge Winkel. Doch bald schon kann Manfred Gille den Besuchern auch diesen Teil der Grenzbefestigung wieder zeigen und alle Fragen dazu beantworten.
Fotocredits: Klaus-Dietmar Gabbert,Klaus-Dietmar Gabbert,Swen Pförtner,Swen Pförtner,Swen Pförtner
(dpa)