Bad Segeberg – Da, wo sonst Indianer laut schreiend reiten und Cowboys wild um sich schießen, herrscht nun absolute Ruhe. Im Freilichttheater in Bad Segeberg hört man nur noch das Rauschen des Windes und Vogelgezwitscher. Die Karl-May-Spiele mussten für dieses Jahr coronabedingt abgesagt werden.
Keine Proben, keine Zuschauer, keine Show. Und doch kommt künftig zumindest an vier Tagen in der Woche ein bisschen Leben in das Kalkberg-Rund. Denn die Stadt Bad Segeberg hat aus der Corona-Not eine Tugend gemacht und bietet erstmals in der Geschichte der Karl-May-Spiele öffentliche Führungen hinter die Kulissen an.
Versteckte Gänge hinter der Bühne entdecken
Von Freitag (19. Juni) an sind die etwa 90-minütigen Veranstaltungen durch das Freilichttheater am Kalkberg möglich. Dabei verraten die Stadtführer viele Geheimnisse rund um die Karl-May-Spiele, zeigen versteckte Gänge und Winkel hinter der Bühne und erzählen Anekdoten aus den vergangenen Jahren der traditionsreichen Veranstaltung, die seit 1952 Jahr für Jahr die Geschichten des Schriftstellers Karl May auf die Bühne bringt.
Eine der vier Stadtführerinnen ist Susanne Funk. «Ich war selber neugierig und wollte das alles mal wissen», sagt sie kurz nach der gelungenen Vorpremiere am Dienstag vor Medienvertretern. In den vergangenen Tagen hat sie sich unzählige Details rund um die Karl-May-Spiele eingeprägt. Denn gerade Insiderwissen ist bei einer Backstage-Führung natürlich gefragt.
So verrät Funke mit einem Schmunzeln, dass Langzeit-Winnetou Jan Sosniok am Anfang gar nicht reiten konnte. «Wayne Carpendale war zu der Zeit der Old Shatterhand und der konnte sogar auf dem Sattel stehen. Das hat Jan total genervt und deshalb hat er heimlich geübt.» Zudem weiß sie, dass die 24 Pferde der Karl-May-Spiele bis zu 20 Kubikmeter Pferdemist hinterlassen und pro Saison etwa 6500 Ballen Stroh für die Tiere nötig sind.
Besuch in der Schaltzentrale
Außerdem wissen die ersten Besucher der Führung durch die Kulissen nun auch, warum in der sogenannten Schaltzentrale, die für jedes Ton- und Lichtsignal und jede sekundengenaue Anweisung zuständig ist, immer Gummibärchen stehen müssen. «Sonst ist der Leitstand einfach nicht arbeitsfähig», sagt Michael Stamp, langjähriger Autor der Bühnenstücke, mit einem Augenzwinkern.
Familie Kruse aus Aukrug (Kreis Rendsburg-Eckernförde) gehört zu den ersten Teilnehmern des neuen städtischen Angebotes. Susanne Kruse war schon als Kind in den 70er Jahren im Kalkberg-Rund zu Besuch. Überrascht habe sie, dass es hinter den Kulissen doch vergleichsweise simpel zugeht, sagt die 52-Jährige. «Vorn ist so ein Spektakel und hinter der Bühne ist alles so einfach. Aber es reicht für einen tollen Eindruck.»
Für die Geschäftsführerin der Karl-May-Spiele, Ute Thienel, sind die Führungen «eine richtig schöne Idee». Über den emotionalen Verlust der gesamten Saison kann das allerdings trotzdem nicht hinwegtrösten. «Es ist schon ganz schön befremdlich und traurig», sagt sie. Das Team wickele nun die Saison ab. Dabei gebe es zumindest noch zwei Lichtblicke. «Die gesamte Saison 2020, so wie sie geplant war, in 2021 umswitchen.» Zudem bleibt das Publikum den traditionsreichen Spielen trotz Corona-Krise treu.
Geplantes Stück «Der Ölprinz» auf 2021 verschoben
Drei Viertel der etwa 70.000 für 2020 bereits verkauften Karten konnten einfach nur ins nächste Jahr umgebucht werden. «Etwa zehn Prozent der Tickets wurden erstattet, zehn Prozent zu einem Gutschein umgewandelt», sagt Thienel. Pro Vorführung passen etwa 7700 Menschen auf die Freilichtbühne. 2019 war das bislang stärkste Jahr der
Karl-May-Spiele. Das Stück «Unter Geiern – Der Sohn des Bärenjägers» hatte 402.110 Zuschauer angelockt.
Eigentlich wäre das Theater in wenigen Tagen in seine 69. Saison gestartet. Das ursprünglich geplante Stück «Der Ölprinz» mit Alexander Klaws als Winnetou sowie den Fernsehschauspielern Kathy Karrenbauer («Hinter Gittern – der Frauenknast») und Sascha Hehn («Schwarzwald-Klinik», «Traumschiff») ist wegen der Corona-Pandemie auf 2021 verschoben worden. Die Premiere ist nun für den 26. Juni 2021 vorgesehen. Bis dahin darf sich die Natur weiterhin den Kalkberg und die Freilichtbühne zurückerobern. Zumindest ein bisschen.
Fotocredits: Markus Scholz
(dpa)